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Im Interview: Nitya Hosdurg Anand

In immer weiteren Kreisen der Gesellschaft, in der Wirtschaft, Verwaltung und Politik findet das Leben zunehmend digital und multimedial statt. Vieles von dem, was Menschen heute kommunizieren, Szenen aus der Alltagsumgebung, aber auch Vorgänge in Industrie, im Verkehr oder dem Finanz- und Versicherungswesen werden heute bewusst, in Teilen aber auch unbewusst, per Audio und Video dokumentiert, gespeichert und ausgetauscht. Nicht selten für einen anderlautenden Zweck erstellt, dienen digitale Ton- und Videodateien auch immer häufiger als stille Zeugen in Strafverfahren, sofern zugelassen und sich darauf geeignete Beweise finden. Audio- und Videoforensiker:innen bewerten zumeist im Vorfeld, ob diese Aufnahmen authentisch sind und bescheinigen dies in teils komplexen Gutachten. Doch wie sieht der Arbeitsalltag eines Forensikers bzw. einer Forensikerin eigentlich aus? Darüber haben sich Nitya Hosdurg Anand, Forensikerin, und Axel Lange, Leiter Marketing & Sales bei TÜVIT in einem Interview ausgetauscht.

 

Stimmenvergleiche oder die Prüfung der Authentizität von Videoaufnahmen gab es wahrscheinlich schon vor 50 Jahren. Was hat sich seitdem geändert, in der Methodik und auch technologisch?

In den 1960er-Jahren wurden Audio- und Videoaufzeichnungen analysiert, indem die Länge des Bandes mit den verdächtigen Aufnahmen gemessen wurde. Wenn dieses im Vergleich zum Originalband geringer war, gingen die Experten davon aus, dass das verdächtige Band auch tatsächlich bearbeitet worden war. Damals wurde die Analyse mit Oszillographen und Sonometern durchgeführt und die Aufnahmetechnik war noch analog. Heutzutage liegen die Audio- und Videoinhalte zumeist in digitaler Form vor. Und auch die Analysetools sind heute digital bzw. in erster Linie softwarebasiert. Dennoch, an den forensischen Grundprinzipien hat sich wenig verändert. Am Ende geht es um die Messung von Schallwellen anhand ihrer Länge und der unterschiedlichen Wellenlängen, die sich beim Durchgang von Schall durch verschiedene Medien ergeben. Dank der Digitalisierung sind die Analyseverfahren aber schneller geworden und die Ergebnisse stehen rascher bereit.

Audio- und Videoforensik kommt demzufolge heutzutage in zunehmend mehr Bereichen zum Einsatz. Kannst Du uns einen Bogen spannen über die vielfältigen Anwendungsszenarien?

Kriminalitätsdelikte, besonders die im digitalen Raum, eröffnen heutzutage immer neue Anwendungsfälle der Audio-Video-Forensik. Nach wie vor wird DAV hauptsächlich zur Personenidentifizierung eingesetzt, zum Beispiel dort, wo täglich viele Gesichter und Stimmen im Rahmen der Sicherheitsüberwachung an Flughäfen oder in urbanen, öffentlichen Bereichen durch CCTV-Kameras aufgezeichnet werden. Und natürlich im Straßenverkehr zur Identifizierung von Fahrzeugen in Fällen von Fahrerflucht nach einem Unfall. Auf Grundlage der Geräuschentwicklung beteiligter Fahrzeuge vor dem Aufprall kann die Schuldfrage besser eingegrenz werden. Denn jedes Geräusch ist einzigartig. DAV kann dazu beitragen, diese in einer Aufnahme zu unterscheiden und den Ursprung zu klären. Hinzu kommen ganz ausgefallene Anwendungsmöglichkeiten. Wer weiß schon, dass digitale Forensik auch zur Identifizierung von Haus- und Wildtieren eingesetzt wird, zum Beispiel in Fällen der Wilderei, wenn es um die Identifikation geschützter Arten geht.

Gibt es auch technische Grenzen? Welche Rolle spielen z. B. Qualität und Umfang des Beweismaterials und gilt auch hier „Shit in, Shit out“ bzw. wie leistungsfähig sind die eingesetzten Tools heute schon?

Im Rahmen der audio-video-forensischen Analyse kommt es hier und da zu Problemen bei der Extraktion vom Trägermedium. Das liegt teils daran, dass Bild- und Tondateien nicht immer professionell aufgenommen wurden. Bei Videoaufnahmen gilt: Je höher die Pixelzahl oder Auflösung des Bildes, desto mehr Details sind enthalten und lassen sich dadurch auch auswerten. In einigen Fällen ist das Originalaufnahmemedium aber schlichtweg nicht mehr verfügbar. Dann erfolgt die Auswertung auf Basis von Kopien verminderster Qualität. Auch übermäßiges elektronisches Rauschen eines spezifischen Aufnahmegerätes führt zu Einschränkungen bei der Analyse. Diese überlagern sich vielleicht mit schlechten Lichtverhältnissen bei Videoaufnahmen oder lauten Umgebungsgeräuschen im Audiobereich und führen zu einer noch weitaus schlechteren Qualität. Dazu kommen manchmal Schäden an Aufnahmegeräten. Kurzum: es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die eine Aufnahmequalität teils deutlich vermindern können. Natürlich nutzen Forensiker:innen Tools, mit denen sich die Datenqualität im Vorfeld optimieren lässt. Bis zu einem gewissen Grad lässt sich die Datengrundlage dadurch verbessern und man kommt zu validen Ergebnisaussagen. Schlussendlich muss man aber festhalten, dass Qualität und Auflösung des vorliegenden Prüfmaterials auch Grenzen setzen.

Das bedeutet ein:e Forensiker:in beschäftigt sich nur in Teilen mit der Authentizitätsprüfung von Aufnahmen. Ein wichtiges Schaffensgebiet ist auch die Verbesserung des Datenmaterials im Vorfeld der Analysetätigkeit, oder?

Richtig. Bei den meisten Delikten fehlt es an hochwertigen Audio- und Videoaufnahmen. Hier kann forensisches Fachwissen helfen. Expert:innen unserer Disziplin verfügen über zahlreiche Techniken zur Verbesserung von Aufnahmen, die Details hervorheben, ein klareres Bild des Geschehens vermitteln oder eine Audioaufnahme "hörbarer" machen. Allein schon das hilft Ermittler:innen, Anwält:innen und weiteren Verfahrensbeteiligten, ihre Aufgaben besser erfüllen zu können. Und unsere Fähigkeiten gehen noch einen Schritt weiter. Die Audio- und Videoexpert:innen können Aufzeichnungen akkustischer oder visueller Natur mit einer Reihe wissenschaftlicher Instrumente und Verfahren, implementiert in ihren Tools, auch reparieren und wiederherstellen. Das und die Optimierungsverfahren sind dann zumeist die Grundlage einer sich anschließenden Analysetätigkeit in Fragen der Authentizität.

Das Stichwort Authentizitätsprüfung nehme ich mal auf. Wie genau funktioniert das? Haben Forensiker:innen besonders gute Augen und Ohren?

Forensiker:innen prüfen im Rahmen der Analysetätigkeit eine ganze Reihe verschiedene Merkmale einer Audio- oder Videoaufzeichnung. In erster Linie geht es darum festzustellen, ob das Beweismittel verändert wurde. Dabei geht es auch darum, die Unversehrtheit der Aufnahme zu bestätigen und sich zu vergewissern, dass Bildinhalt und Ton dem entsprechen, was diese vorgeben zu sein. So kann beispielsweise eine unnatürliche Wellenform im Audio-/Videosignal darauf hinweisen, dass eine Bearbeitung stattgefunden hat. Abrupte Veränderungen in der Aufnahme können meist nur von Expert:innen erkannt werden. Beispielsweise ähnelt eine akustische Welle an der Stelle einer Manipulation einem Klirrgeräusch eines heruntergefallenen Löffels. Die Lautstärke und der Tonfall einer Stimme in einer Aufnahme können Hinweise auf die Entfernung und die räumlichen Beziehungen innerhalb einer Szene liefern. Auch die Identifizierung einer Person oder eines Objekts anhand von Bildern oder einer Stimmaufnahme erfordert die geschulten Augen und Ohren eines Experten. Kurzum: Forensiker:innen haben keine besseren Augen und Ohren, haben diese aber für den forensischen Einsatz langjährig trainiert.

Wie geht man mit einer uneindeutigen Beweislage um und gilt auch hier im Zweifel für den Angeklagten bzw. kann ein forensisches Gegengutachten zu einem gänzlich entgegengesetzten Fazit kommen?

Vor Gericht werden forensische Gutachten in erster Linie erstellt, um Zeugenaussagen zu untermauern. Es gibt jedoch nicht wenige Fälle, in denen Audio-Video-Analysen das einzig verfügbare Beweismittel in der Urteilsbegründung sind, zum Beispiel dann, wenn keine anderen Zeugenaussagen vorliegen oder Zeug:innen von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Natürlich gibt es Verfahren, in denen der forensische Sachverständige im Rahmen seiner Analysetätigkeit kein eindeutiges Ergebnis liefern kann. Das Gutachten wird dann zumeist im Kreuzverhör als nicht stichhaltig entkräftet und dient damit nicht mehr der Beweisführung. Ergebnisberichte forensischer Analysen unterliegen aber grundsätzlich einer Wahrscheinlichkeitsspanne, 100%-ige Sicherheit gibt es selten. Dennoch dienen diese nicht selten der Urteilsfindung.

Die Analyse der Video- und Audioproben erfolgt zwar toolgestützt, letztendlich werden diese Tools aber von Forensiker:innen angewendet. Wie viel Prozent des Analyseergebnisses sind „toolgemacht“, was beruht auf langjähriger Expertenerfahrung?

Audio-Video-Analysen sind werkzeuggestützt, aber ohne menschliches Hinzutun geht es nicht. Ich würde schätzen, dass 50 % der Analyseaufwände toolbasierend geleistet werden, die restlichen 50 % erfordern das Mitwirken von Expert:innen, zum Beispiel bei der Bewertung der Messergebnisse, der Berichterstellung und insbesondere beim abschließenden Plädoyer. Der Teil der forensischen Analyse, der die Expertise des Sachverständigen erfordert, ist derjenige, der den größten Einfluss auf die Urteilsfindung in Strafverfahren hat. Langjährige Erfahrung und Glaubwürdigkeit sind durch ein Tool nicht zu ersetzen.

Wie beurteilst du die Weiterentwicklung dieser Toollandschaft in Zukunft? Sind KI-Systeme in Sichtweite, die solche Analysen beschleunigen könnten? In der Biometrie kommt KI ja schon hier und dort zum Einsatz.

Mit dem Aufkommen von Methoden der künstlichen Intelligenz können darauf basierende Analyseverfahren perspektivisch sicher beeindruckende neue Fähigkeiten entwickeln. Aber: Solche Verfahren werden heute noch immer Fehler beim Lesen der Dateisignaturen von Aufnahmen machen. Ich sehe auch Hürden bei den Trainingsdaten einer KI, insbesondere dann, wenn Bild- und Audiodaten von schlechter Qualität sind und nicht in ausreichendem Volumen zur Verfügung stehen. Mittel- bis langfristig mag es dafür aber Lösungen geben.

Vielen Dank, Nitya, für das interessante Gespräch und die vielfältigen Einblicke in dein nicht ganz alltägliches Tätigkeitsgebiet. Interessent:innen, die mehr über Digital Video-/Audio-Forensik erfahren möchten, können sich gerne an Nitya wenden. Ihre Kontaktadresse findet sich unter ihrem Profil.   

Über Nitya Hosdurg Anand

Nitya hält einen Bachelor-Abschluss in Forensik und hat im Verlauf ihres Studiums die Grundlagen der Sprachanalyse erlernt. Darauf aufbauend hat sie eine Vielzahl von Diplomen in Audio-Video-Forensik erworben und Wellenmuster, die bei der Audioanalyse auftreten, die Bildanalyse bei Videoaufnahmen und die allgemeinen Auswirkungen von Manipulationen studiert. Zudem verfügt sie über ein ausgezeichnetes Verständnis der Physik und kennt sich mit der Ausbreitung von Schallwellen in verschiedenen Medien bestens aus. Darüber hinaus hat sie einen Master-Abschluss in Informatik (Schwerpunkt Cybersicherheit) erworben, der ihr Wissen über die Arbeit mit verschiedenen digitalen Beweismitteln und den Prozess der Aufnahmeextraktion unterstützt. Was jedoch am meisten zählt, ist das praktische Wissen und die Erfahrung aus zahlreichen Audio- und Videofällen. Jeder Case bringt neue Aspekte mit sich und hat ihren Wissensschatz erweitert. Über 8 Jahre Erfahrung hat  Nitya Hosdurg Anand in diesem Bereich mittlerweile erworben. 

Kontakt: N.HosdurgAnand@tuvit.de